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Zum Tod von Ottmar Schreiner

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Ottmar Schreiner gehörte zu jenen sozialdemokratischen 68ern, die die alte Arbeiter- und Milieupartei SPD endgültig in die Volkspartei transformierten, wie wir sie bis Ende des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland erlebt hatten. Seine Biographie dokumentiert diesen soziologischen Wandel in der SPD. Schreiner stammte aus der katholischen Mittelschicht im Saarland. Ein solches Elternhaus ließ bis 1968 ein Engagement in der SPD eher als historische Unwahrscheinlichkeit vermuten. Erst mit der Politisierung der Jugend und dem Verfall der die deutsche Gesellschaft bis dahin dominierenden klassischen sozialmoralischen Milieus sollte sich das ändern.

Insofern stand Schreiner, wie viele in seiner Generation, für eine geglückte Modernisierung der deutschen Gesellschaft. In den Jusos der 1970er Jahre gehörte Schreiner zum Lager der Reformsozialisten. Diese galten in den bisweilen kuriosen Juso-Grundsatzdebatten dieser Zeit als “rechts”. Vor allem in der Auseinandersetzung mit den “Linken”, die, wie Gerhard Schröder oder Klaus-Uwe Benneter, zumeist deren marxistische Inkonsequenz kritisierten. Peter Glotz sprach damals von der “ungebrochenen erzieherischen Kraft der Sozialdemokratie”, nämlich aus radikalen Jugendideen handlungsfähige Politik im Sinne einer reformistischen Sozialdemokratie zu machen. Inwieweit das etwa bei Schröder als geglückt betrachtet werden kann, ist ein anderes Thema. Schreiner aber, und das zeichnete ihn aus, hat zwar den Kompromiss keineswegs verabscheut, blieb aber immer seinen Überzeugungen treu. In der innerparteilichen Debatte über die Agenda 2010 wurde er zum wichtigsten Protagonisten der Kritiker der damaligen Reformpolitik. Trotz seiner persönlichen Verbundenheit mit Oskar Lafontaine wechselte er nicht zur Linken. In der von neoliberalen Gespenstern geprägten Athmosphäre der Jahre zwischen 2003 und 2008 hatte er sehr schnell seinen Ruf als “Betonkopf” und unbelehrbarer Dogmatiker weg. Er galt als Nervensäge. Wer Schreiner einmal reden gehört hatte, wusste warum. Er sprach in einem irrsinnigen Tempo und ließ dabei keine Zuspitzung weg, auch nicht in der innerparteilichen Debatte. Weichgespült klang anders. In einem Gastbeitrag für die FAZ aus dem September 2007 kam die Verbitterung zum Ausdruck, die die Agenda 2010 hinterlassen hatte:

“Die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat schon immer Stoff für große Erzählungen geliefert. Glanz und Gloria der Vergangenheit können dem eigenen Politikentwurf höchste Weihen verleihen. Diesen Gedanken hatten auch Peer Steinbrück, Walter Steinmeier und Matthias Platzeck. Die Nachlassverwalter Gerhard Schröders stellen ihre Politik in die Tradition Eduard Bernsteins, der für eine Reformpolitik im Sinne der sozialen und politischen Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung stritt. Diese historische Analogie ist ein Treppenwitz der Geschichte. Denn die Parteispitze hat in den Schröder-Jahren mit dem ursozialdemokratischen Reformismus gebrochen und sich mit Agenda 2010 und Hartz IV von einer fortschrittlichen, emanzipatorischen Reformpolitik endgültig verabschiedet. Eine kleine Clique an der Spitze der Partei wollte die reformistische Tradition der SPD als linker Volkspartei entsorgen. Es ist daher an der Zeit, diesem Irrweg entschieden entgegenzutreten. Die Entsozialdemokratisierung und Entwurzelung der SPD muss programmatisch und personell gestoppt werden.”

Wer die eigene Parteiführung als eine “kleine Clique” und deren Politik als “Treppenwitz” beschreibt, kann gute Gründe dafür haben, muss sich aber über deren Reaktionen nicht wundern. Das Problem hatte Schreiner nicht. Die Jusos der 1970er Jahre waren nicht nur für ihn eine gute Lehre gewesen, wie Politik jenseits des ideologischen Getöses als Durchsetzung politischer Machtansprüche funktioniert. In gewisser Weise blieben Brandts sogenannte “Enkel” immer in der Kontinuität dieser frühen Machtkämpfe aus Juso-Zeiten stecken. Sie hatten Unerbittlichkeit gelernt. Das galt wohl auch für Ottmar Schreiner. Wer seinen Text aus dem Jahr 2007 liest, wird allerdings viele Punkte finden, die heute auf der politischen Tagesordnung stehen – und damals von sogenannten Pragmatikern als Ausdruck für Trämereien galten. Etwa das hier:

“Jeder Versuch, die Finanzmärkte zu regulieren, mündet angeblich in Kapitalflucht. Wir brauchen aber bessere Regeln. Die sollten langfristige Realinvestitionen fördern und kurzfristige, spekulative Finanzinvestitionen diskriminieren. Eine sozialdemokratische Antwort auf die Anonymisierung und Internationalisierung von Firmenentscheidungen ist eine erweiterte Mitbestimmung. Einheitliche europäische Regelungen sind nationalen Alleingängen immer vorzuziehen. Aber auch im Zeitalter globaler Finanzmärkte gibt es im Steuer-, Aktien- und Unternehmensrecht noch nationalstaatliche Gestaltungsspielräume. Wer nur über Heuschrecken klagt, aber nicht handelt, bleibt unglaubwürdig.”

Seine Forderung von damals steht heute auf der politischen Tagesordnung. Die damaligen Konflikte sind Geschichte geworden. Schreiners größter Verdienst für die SPD besteht wahrscheinlich darin, es in ihr solange ausgehalten zu haben. Er sicherte damit der Sozialdemokratie die Anschlussfähigkeit an eine Entwicklung, die 2007 kaum einer ahnte und Schreiner als Rückkehr zum “Kern einer Politik sozialer Demokratie” beschrieb:

“Die deutsche Sozialdemokratie befindet sich an einem Scheideweg. Es ist kurz vor zwölf: Die Basis löst sich vereinzelt auf, die Funktionäre sorgen sich um ihre Positionen, der Partei droht die Implosion – wenn wir jetzt nicht umsteuern und zum Kern einer Politik sozialer Demokratie zurückkehren.”

Ottmar Schreiner ist gestern im Alter von 67 Jahren gestorben.


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